Feuerwerk

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Wer mich kennt, weiss, wie schnell ich mich aufregen kann! Besonders, wenn die Umstände auch sonst schon mühsam sind. Zum Beispiel, wenn eine feuerpolizeiliche Überprüfung meines Laden angekündigt wurde und mein Lager vor überzähligen Feuerwerkskörpern geradezu überquoll. Und ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, wie ich diese explosive Situation entschärfen könnte.
Und genau da kam sie in den Laden. Sie war eine Dame mittleren Alters mit der guten Angewohnheit, bei mir einzukaufen. Ihre schlechte Angewohnheit war aber, immer ihre vollen Einkaufstaschen direkt vor der Eingangstüre des Laden stehen zu lassen, wenn sie etwas vergessen hatte. Und sie vergass eigentlich immer etwas. So auch heute.
Wie immer verliess sie den Laden, nachdem sie an der Kasse ihre Einkäufe sorgsam in zwei grosse Papiertaschen eingefüllt hatte. Vor der Türe blieb sie stehen, stellte ihre Taschen ab und drehte sich um und betrat erneut den Laden. Normalerweise regte ich mich nur darüber auf, aber heute war dies der berühmte Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte.
Im Fernsehen sieht man täglich Terroranschläge, Bomben die deponiert werden und Taschen, die von der Polizei wegen explosionsverdacht eliminiert werden. Das war genau meine Chance, all meine Probleme auf einen Schlag loszuwerden.
Kurzentschlossen holte ich aus dem Lager das rotweisse Absperrband und kennzeichnete damit den Gefahrenbereich rund um den Eingang mit den beiden Einkaufstaschen. Ich stülpte über jede Tasche einen leeren Wäschekorb. Im Ladeninneren befanden sich ein paar Kunden. Zwei junge Männer, beide in der Hoffnung, der spärliche Haarwuchs am Kinn würde sich bald zu einem veritablen Bart entwickeln. Generation YouTube. Eine rothaarige Punkerin und ein paar ältere Damen waren die ersten, die bemerkten, dass ich den Eingangsbereich des Dorfladens abgesperrt hatte. Und natürlich die Besitzerin der Einkaufstaschen. Von nun an ging es Schlag auf Schlag. Die älteren Damen wies ich an, niemanden zur Türe zu lassen, wirklich niemanden. Die beiden Jungs fragte ich, ob sie lebenslangen Fame möchten? Ohne nachzudenken nickten beide. Ich nahm die zwei mit ins Lager und gemeinsam trugen wir die gesamten Feuerwerkskörper vor den Laden und befüllten damit den freien Raum der Wäschekörbe. Die Punkerin durchschaute den Plan als erste und er schien ihr zu gefallen. Sie schnappte sich eine Packung Tampons aus dem Regal und verteilte diese an die anwesenden Kunden. Sie wurden angewiesen, sich damit die Ohren zu verstopfen. Die Besitzerin der Taschen versuchte nach draussen zu gelangen, die älteren Damen hinderten sie aber erfolgreich. Ihre Argumentation, dass es sich bei den Taschen nicht um Bomben sondern um ihre Einkäufe handeln würde, hörte dank den Tampons niemand ausser ich. Die Punkerin machte sich einen Spass daraus und verteilte Einkaufskörbe an die Zuschauer und wies sie an, diese als Gesichtsschutz zu tragen. Langsam dämmerte es auch den beiden Jungs, was hier vor sich ging. Sie zückten ihre Handys und begannen zu Filmen.
Wissen sie, was mich auch nervt? Leute, die hochkant Filmen! Als würde es einen Bildschirm im Hochformat geben. Ein Grund mehr, die Beiden auszuwählen. „Jungs,“ sagte ich, „jetzt ist eure Chance, berühmt zu werden. Ihr setzt euch jetzt einfach auf die Wäschekörbe und sorgt dafür, dass sie nicht wegfliegen!“ Mit einer Mischung aus Begeisterung und Angst setzten sie sich auf die Körbe, das Handy jeweils auf den anderen gerichtet.
Ich erlebte die folgenden Minuten wie in Zeitlupe.
Ich nahm mein Feuerzeug aus der Tasche und näherte mich der Zündschnur, welche ich sicherheitshalber mit den einzelnen Feuerwerkskörpern verbunden hatte. Gebannt starrten alle Anwesenden durch die Gitter der Einkaufskörbchen, aus den Ohren hingen die Schnürchen der Tampons und flatterten im Wind. Die Rothaarige hatte ihr Handy gezückt, aus dem Lautsprecher Rammstein: Feuer frei!

Mit einem Zischen machte sich die kleine Flamme auf den Weg …
Im Hintergrund hörte man Sirenen näher kommen.

Dann das Feuerwerk. Zischen und knallen, Rauch und Blitze … eine dicke Wand, ohrenbetäubender Krawall. Ein Höllenspektakel.

Nachdem sich der Rauch verzogen hatte, sah man die beiden jungen Männer wieder. Sie sassen an der selben Stelle wie zuvor, nur am Boden. Die Hoffnung auf einen Bart mussten sie offensichtlich noch um ein paar Monate weiter in die Zukunft verschieben. Die Tamponschnur aus dem Ohr des einen glimmte noch, ansonsten waren sie heil geblieben. „Hast du es schon hochgeladen?“, fragte der eine. „Logo, ich habe schon die ersten Likes!“, antwortete der andere.

Auch die Zuschauer hatten einiges abbekommen. Ich wusste gar nicht, dass Joghurt so gut fliegt.

Natürlich musste ich mit auf den Polizeiposten. Die Beamten glaubten mir irgendwie nicht so recht, dass ich die Taschen für eine Bombe gehalten hatte. Zudem fanden sie es eine ganz blöde Idee, diese selbst in die Luft zu jagen … Aber ansonsten bin ich recht gut davon gekommen.

Überhaupt entwickelte sich der Tag noch recht positiv: Der Brandinspektor fand keinen Grund für eine Beanstandung in meinem Laden und in den Lagerräumen!

 

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