Selbstversuch 20: Unfallopfer
Heute grüsse ich euch aus der städtischen Nervenheilanstalt. Es fühlt sich eigenartig an. Nachdem ich nun seit 3 Monaten keine elektronischen Geräte anfassen durfte.
Wie es dazu kam? Naja … wie soll ich sagen … eine Verkettung unglücklicher Zufälle …
Es begann damit, dass ich mir Gedanken machte, was ein Unfallpatient wohl während seiner Rettung miterlebt. Aber, wenn man Bewusstlos ist, bekommt man davon ja nichts mit. Deshalb entschied ich mich für einen Selbstversuch.
Ich legte mich also eines Tages auf eine Strasse. Ich starrte den Himmel an und wartete
darauf, gerettet zu werden. Nein, natürlich wurde ich deshalb nicht in die psychiatrische Klinik gesteckt.
Der erste Wagen, welcher mich entdeckte, hielt nicht an. Im Gegenteil. Beinahe hätte er mich überfahren. Was mich zwar zum Unfallopfer gemacht hätte, aber ich hätte nicht beobachten können, was um mich herum abläuft. Deshalb rollte ich mich auf Radweg und starrte dort zum Himmel.
Bald darauf, hielt der erste Wagen an. Ich reagierte nicht auf die Person und starrte weiter. Der Mann rief den Notarzt und nach einigen Minuten hörte ich in der Ferne den Krankenwagen. Einige Leute hatten sich um mich versammelt, drehten mich in Seitenlage, versuchten, mich anzusprechen. Ich beobachtete die Ameisen. Sie beförderten kleine Blätter über den Radweg.
Irgendwann wurde ich auf eine Bahre gehoben und ein weiss gekleideter Mensch leuchtete mir mit einer Taschenlampe in die Augen. Ich versuchte, nicht darauf zu reagieren. Auch nicht, als ich eine Infusion in den Arm gesteckt bekam. (Daran hatte ich in der Planungsphase nicht gedacht).
Ich wurde in den Krankenwagen gehievt und gründlich Untersucht. Ich war eine medizinische Sensation. Offensichtlich völlig heil, aber nicht ansprechbar. Jedenfalls wussten die Notärzte nicht weiter und bestellten einen Hubschrauber. Dieser traf bald einmal ein und ich wurde umgeladen.
Vom Flug hatte ich nichts. Die Medizinmänner hatten mich derart auf die Trage geschnallt, dass ich meinen Kopf nicht bewegen konnte. Naja, egal. Der Flug war ja auch nicht geplant.
Die Untersuchungen in der Uniklinik verliefen scheinbar Ergebnislos. Ich habe davon nichts mitbekommen, denn ich wurde in ein künstliches Koma versetzt. Nach einigen Tagen durfte ich wieder erwachen und mir wurde erklärt, dass ich völlig gesund wäre. Ich erzählte dem Arzt von meinem Selbstversuch und alle waren froh. Glaube ich wenigstens.
Nein, natürlich wurde ich deshalb nicht in die psychiatrische Klinik gesteckt. Aber schon mal in eine Sitzung mit einem Nervenheiler. Dieser musste nach einigen Sitzungen feststellen, dass ich zwar nicht ganz logisch, aber dennoch klar im Kopf war.
Naja, und dann folgte die Rechnung. Von Notarzt, Ambulanz, Rettungshubschrauber, Uniklinik und Psychiater. Ganz zu schweigen von Strafanzeige, Gerichtstermine, Anwaltsrechnung, Verurteilung und so weiter. Jedenfalls hätte man für diesen Betrag ein schönes Häuschen am See kaufen können.
Nun drehte ich wirklich durch.
Egal … ich beobachtete die Ameisen. Sie sammelten immer noch Blätter und Hölzchen.
Mein Bewährungshelfer überwies mich schliesslich in die Nervenklinik. Nachdem ich positiv auf die Medikamente und Therapien reagiert habe, darf ich seit letzter Woche endlich in den Park.
Die Ameisen dort sind sehr fleissig. Gestern haben sie einen grossen Käfer transportiert. Ein Unfallopfer. Zusammenstoss mit einem Fussgänger. Ob er wohl alles mitbekommt? Oder nur simuliert? …